Seit 2008 steckt Europa in einer Wohnungskrise: Die Preise für Wohnimmobilien und Mieten steigen rasant, während die Inflation unsere Kaufkraft schwächt. Allein in deutschen Großstädten sind die Mietpreise pro Quadratmeter von 6,39€/m2 auf 9,90€/m2 zwischen 2010 und 2022 angestiegen. In ländlichen Kreisen von 4,94€/m2 auf 7,06€/m2 in 12 Jahren. (Leibniz-Institut-für-Wirtschaftsforschung, 2023). Besonders für junge Menschen ist es so schwer wie nie, sich eine Wohnung leisten zu können oder auch Wohneigentum zu erwerben.
Die Ernennung eines EU-Kommissars für Wohnen klingt zunächst vielversprechend, doch wir müssen diese Rolle kritisch betrachten. Es besteht die Gefahr, dass durch neue EU-Vorgaben noch mehr Regulierungen entstehen. Schon jetzt ist der Wohnungsbau in Deutschland durch zahlreiche Vorschriften wie das Gebäudeenergiegesetz (GEG) stark eingeschränkt. Mehr und mehr Vorschriften, aber auch lange Genehmigungsverfahren haben direkte Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Wohnraum und damit auf die Wohnungskrise, die viele Länder betrifft. Während Genehmigungen für Neubauten in Deutschland oft mehrere Monate bis Jahre in Anspruch nehmen können, dauert der Prozess in anderen EU-Ländern, wie z.B. den Niederlanden im Schnitt nur wenige Wochen bis zu einigen Monaten. Hohe Baukosten, die Komplexität der Genehmigungsverfahren und die strengen Auflagen für Neubauten haben es Bauträgern erschwert, Projekte zu realisieren. Die Anzahl der Genehmigungen für Neubauten in Deutschland ist im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr um etwa 30 % zurückgegangen und liegt damit auf seinem niedrigstem Niveau.
Europäischer Kommissar für Wohnen: Mehr Symbolik als echte Machtbefugnis?
Ende Juli 2024 kündigte Ursula von der Leyen an, dass bezahlbarer Wohnraum eine der Top-Prioritäten der neuen Kommission sein wird. Ein designierter Kommissar soll die direkte Verantwortung für das Wohnwesen übernehmen. Jedoch liegt Wohnen und Bauen originär nicht in der Kompetenz der EU.
Gemäß Artikel 2 des AEUV liegt die Verantwortung für die Festlegung und Durchführung der Wohnungspolitik in den Händen der Mitgliedstaaten. In der Praxis kann die EU nicht aktiv in die Bebauungspläne der Kommunen oder Städte eingreifen. Es besteht daher die Gefahr, dass die Kommission durch die Ernennung eines Kommissars für Wohnen aktiv in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten eingreifen möchte. Das Portfolio des neuen Kommissars ist in die Bereiche Wohnen und Energie geteilt. Als ehemaliger dänischer Minister für Klimaschutz, besteht die Sorge, dass Dan Joergensen als künftiger Kommissar seinen Fokus insbesondere auf Energiepolitik und neue Vorschriften für den Bau- und Gebäudesektor legen wird, anstatt sich für weniger Regulierung einzusetzen.
Chance: Flexibilisierung der Beihilferegeln für mehr bezahlbaren Wohnraum
Doch auch Chancen bestehen: Der Kommissar könnte als Gegengewicht zum Wettbewerbskommissar agieren und wichtige Vereinfachungen im Beihilferecht anstoßen, die den Bau von günstigem Wohnraum fördern. Aktuell haben die Mitgliedstaaten nur bedingt Spielraum, was die Förderung von bezahlbarem Wohnraum über Beihilfen anbelangt, da sich diese Förderung nur auf den sozialen Wohnungsbau beschränkt. Eine Flexibilisierung des Beihilferechts könnte den Mitgliedstaaten mehr Möglichkeiten bieten, bezahlbaren Wohnraum zu fördern. Doch die Flexibilisierung des Behilferechts wird unsere Wohnungskrise alleine nicht lösen. Wir müssen auch and die Finanzierungsmöglichkeiten rangehen: die strengen Vorschriften zum Eigenkapital stammen zum Beispiel noch von der Finanzkrise 2008. Unnötige Standards und Vorschriften an Gebäude tragen zu einer Verteuerung des Bauens bei. Nirgendwo sonst, als in der EU, ist das Bauen so teuer. Allein in Deutschland hat sich beispielsweise die Anzahl der Vorschriften für Neubauten von ursprünglich fünf auf über zwanzig erhöht. Dies ist hauptsächlich auf die Einführung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) zurückzuführen, das am 1. November 2020 in Kraft trat.
In ihren ersten 100 Tagen im Amt plant die EU-Kommission, einen Europäischen Plan für erschwinglichen Wohnraum vorzulegen. Das Ziel: Investitionen in bezahlbaren Wohnraum durch den Kohäsionsfonds zu verdoppeln und private Finanzmittel zu mobilisieren. Es bleibt abzuwarten, ob die Kommission wirklich die Wohnungskrise bewältigen kann oder ob sie nur versucht, sich in nationale Kompetenzen einzumischen, um noch mehr bürokratische Vorschriften aufzuerlegen.